Fußballspiele können eine solche Wucht auslösen, dass schon ein Wort reicht, damit es noch einmal in Gedanken prickelt. Die Tore fallen vor dem inneren Auge ein weiteres Mal. Szenen-Schnipsel ploppen auf.
Roman Weidenfeller braucht nicht viele Worte, um treffend seine Erinnerungen an den 9. April 2013 zu beschreiben. „Das Spiel gegen Malaga war Emotionen pur“, erzählt die Torwart-Legende von Borussia Dortmund zehn Jahre später dieser Redaktion.
Der BVB benötige an jenem Abend noch zwei Tore, um das Team aus Andalusien im Viertelfinale der Champions League auszuschalten. Viele Fans hatten das Dortmunder Stadion früh verlassen, weil sie nach dem 2:1 der Spanier in der 82. Minute nicht mehr an das Wunder glauben konnten, das folgen sollte. Das Hinspiel endete ja 0:0. Weil die Auswärtstorregel noch galt, mussten gleich zwei Treffer her.
Die 69 Sekunden für die Ewigkeit begannen mit einem langen Ball von Mats Hummels. "Hummels, alle drunter durch, Subotic, Santana. Er macht ihn nicht, aber Reus. Tor, Ausgleich, auf geht’s, Borussia!"
Diese Worte brüllte Kai Dittmann im April 2013 ins Mikrofon. Der Sky-Kommentator verließ beim Ausgleich durch Marco Reus in der ersten Minute der Nachspielzeit für einen Moment seine Neutralität. „Ich habe da ein komplett reines Gewissen: deutsche Mannschaft, deutscher Sender, ein Tor fehlte noch – da nehme ich jeden, der darüber meckert“, sagt Dittmann dieser Redaktion.
Borussia Dortmund - FC Malaga 3:2 (1:1)
Dortmund: Weidenfeller - Schmelzer, Santana, Subotic, Piszczek - S. Bender (72. Sahin), Gündogan (86. Hummels) - Reus, Götze, Blaszczykowski (72. Schieber) - Lewandowski.
Tore: 0:1 Joaqin (25.), 1:1 Lewandowski (40.), 1:2 Eliseu (82.), 2:2 Reus (90.+1), 3:2 Santana (90.+2).
Zuschauer: 65.128 (ausverkauft).
Schiedsrichter: Thompson (Schottland).
Ihm war klar, dass der Ausgleich nicht das Ende sein sollte. „Ich versuche mich mehr von der Reaktion der Spieler und Trainer leiten zu lassen als von meinem eigenen Gefühl“, sagt er. „Sehen die so aus, als ob die das noch aufholen können? Jürgen Klopp hat keine Ehrenrunde gedreht, sondern war gleich wieder totalfokussiert. Da war mir klar: Die gehen auf das dritte Tor – da ist ‚Auf geht’s‘ entstanden.“
Die Uhr tickte, und zwar gegen den BVB, der sich jedoch nicht beirren ließ. „Wir hatten die ganze Zeit unser großes Ziel vor Augen und haben auch nach dem Rückstand an uns geglaubt und die Bälle weiterhin ins Zentrum gespielt“, erinnert sich Weidenfeller. „Dazu hatten wir unsere fantastischen Fans im Rücken.“ Dann geschah Malaga.
"Anderthalb Minuten sind rum. Freistoß Dortmund. Sahin, Santana. Doppelkopf. Schieber…. Schmelzer. Lewandowski, Schieber. Jetzt ist Reus, Schieber, Santana, Tor, Tor für Dortmund. Toooor. Dortmund kippt die Partie und steht im Halbfinale."
Dortmunder Mentalitätsmonster
Aber es roch nach Abseits, das Tor von Felipe Santana zum 3:2-Endstand in der zweiten Minute der Nachspielzeit. Dass es noch keinen Videobeweis gab, war das Glück des BVB – wobei ja auch Malagas Führung durch Eliseu irregulär war. "Das mussten wir in unserem Kommentar noch unterbringen“, betont Dittmann.
"Ja, auch da Abseits, das gleicht sich aus. Und auch hier ist es dieselbe Geschichte. Ich glaube, dass die Unparteiischen zweimal daneben lagen bei diesen Szenen. Da gleicht sich die Ungerechtigkeit aus. Sei es drum, sei es drum."
Dortmund rannte nun nicht mehr an, sondern verteidigte. Jürgen Klopps berüchtigte Mentalitätsmonster.
"Subotic, Santana und Sahin, dessen Einwechslung sich bezahlt gemacht hat. Das ist Borussia Dortmund, lange nicht da. Sie wollten, aber konnten nicht und plötzlich mit Willen, mit Kraft, mit Gestochere, mit Glück – aber es ist egal."
Jeder hat gesehen, was für ein Spirit in der Mannschaft steckte. Die Stimmung im Stadion war überragend.
Roman Weidenfeller
Malagas letzte Bemühungen grätschte Marcel Schmelzer auf der linken Seite ab. Craig Thompson aus Schottland pfiff Sekunden später ab. "Es ist Schluss, aus, vorbei. In einem unfassbaren Spiel gewinnt Jürgen Klopp mit Borussia Dortmund nach 1:2-Rückstand mit 3:2. Gratulation, Glückwunsch, Wahnsinn. Das ist unfassbar. Eine unfassbare Moral sorgt dafür, dass Borussia Dortmund das Unmögliche noch möglich macht."
„Jeder hat gesehen, was für ein Spirit in der Mannschaft steckte. Die Stimmung im Stadion war überragend. Am Ende hatten wir in diesem Spiel natürlich auch noch das nötige Quäntchen Glück“, gesteht Roman Weidenfeller. Der 42-Jährige denkt mit Stolz an die Champions-League-Saison 2012/13 zurück, die „eine gigantische Reise“ war – auch wenn es nach der 1:2-Finalniederlage gegen Bayern München nicht zum großen Triumph reichen sollte. Im Halbfinale gab es gegen Real Madrid (4:1, 0:2) aber zuvor noch besondere Momente. „Ich werde nie vergessen“, sagt der Weltmeister von 2014, „wie die Königlichen im eigenen Stadion vor uns gezittert haben.“